aus der Serie „FISCHE AUS DER DDR“
Objektkästen (Holz, Gips, Sand)
je 13 x 16/17 x 3cm,
sowie 13 x 23 x 3cm und 12 x 15 x 3cm
2002 - 2018
12 von insgesamt 165 verschiedenen Designs
Schatzsucher gab es in der DDR zuhauf - auch noch, ja gerade nach der sogenannten Wende. Dass aber jemand Kulturschätze in Form von Fischdosen hebt, dürfte einmalig sein. Nicht zufällig war es eine kleine kulturgeschichtliche Sensation, als Mona Könen mit ihren Fundstücken zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat und ein Stück Kulturanthropologie vorstellte, über das sogar die Deutsche Welle in ihrem weltweiten Programm berichtete.
Angefangen hatte es mit Ärger und Enttäuschung bei der Spurensuche vergangenen Lebens auf dem Grundstück eines Freundes. Der Garten: Eine einzige Müllhalde. Aber auch Müll ist Geschichte, sinnierte Könen, die sich schon lange eine Namen gemacht hatte mit ihren raffiniert geschichteten Collagen, die gleichsam die Biographie der jeweiligen Materialien inszenierten - auch ihr Atelier gleicht einem geschichtlichen Labor der Materialkunde.
Gedacht, getan. Sie drohte zu versacken in einem Meer von Fischdosen, deren Vielfalt sie freilich sofort verblüffte (und die selbst Ältere nicht mehr erinnerten): Über 160 verschiedene Designs fanden sich, oft mit viel hintergründigem Witz und subversiven Anspielungen gestaltet. Werbung mit produktfremden Verlockungen war offiziell verpönt n der DDR, sie galt als Irreführung der Verbraucher. Doch der Bilderreichtum, der Sprachwitz, die Exotik und die Suggestivkraft der Designs betrieben offenkundig eine Art Schleichwerbung - und zwar weniger für das Produkt als für die Grenzenlosigkeit der Erfahrungen, die doch auch in einer solchen geschlossenen Gesellschaft möglich seien.
So legt Könen die Alltagsmythen bloß, die zur psychischen Überlebenshilfe geworden waren - eben so wie Mythen seit jeher zu Objekten und Erzählungen geronnene eigene Befindlichkeiten waren.
Geschichte wird immer von den Gewinnern geschrieben, weiß jeder Historiker, und der Westen hat seine Definitionsmacht, das Definitionsmonopol weidlich genutzt: Die DDR-Geschichte wurde pauschal diskreditiert, von ihrem Alltag wusste man im Westen kaum, man sah immer nur das Politische. Könen hat gleichsam die Nischen dieser Geschichtsschreibung besetzt, die Alltags- und Gebrauchsgegenstände, gleichsam die geronnene Objektform der verdrängten Geschichte des Alltags.
Könen geht delikat und diplomatisch um mit diesen Themen - zu genau weiß sie und hat sie überall auf der Welt erfahren, wie die eigene Geschichte ein Minenfeld sein kann - vor allem, wenn sie in fremde Hände gerät. "Raub' ihnen ihre Geschichte, und du raubst ihnen ihre Identität", schrieb Frantz Fanon über die Drittweltländer - an die Adresse der Kolonialmächte (die sehr wohl wussten, was sie taten, als sie in den Kolonialschulen nur die Geschichte der 'zivilisierten' Welt, also der Kolonialmächte und ihrer Sichtweise, lehren ließen). Hier finden die DDR-Bürger ein Stück ihrer Geschichte wieder, wie in einem Museum - und werden daran erinnert, dass es auch ein Leben vor der Wende gab ...
Gerade wegen dieser immer wieder, in vielen Gesellschaften durchgespielten sozialen Archäologie der Alltagsobjekte hatte auch das Goethe-Institut Mona Könen immer wieder ins Ausland geschickt, nach Brasilien, nach Afrika zum Beispiel - andere, wie das weltweit tätige Aspen Institut luden sie in die USA, andere Stiftungen in Mittelmeerländer - als Mittlerin der Kulturen, als jemand, so seltsam das klingen mag, die überall half, die eigene Kultur als Reflex und Reflexion aus den eigenen Alltagsgegenständen abzulesen, aus ihnen hervorzulocken, herauszulesen.
Dabei entdeckt Könen regelmäßig eine viel umfassendere Historie als die in Geschichtsbüchern kodifizierte: Die verdrängten Vorstellungswelten, die sich hinter Exotik verstecken mussten - siehe die beliebten Karibik-Tapeten -, des offenen Horizonts in einer Gesellschaft mit erstickend engen Grenzen, des Meers als Symbol der Mobilität, der Ferne und der Fremde, der englischen Ausdrücke für das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer globalisierten Welt. Vielfalt, Pluralismus hatte der Westen immer für sich reklamiert - die Traumwelten jedoch waren nicht weniger ausdifferenziert.
Man denke an die Ästhetik des 18. Jahrhunderts unter politisch erdrückenden Umständen, die sich die Nischen dort eroberte, wohin der Arm der Ideenpolizei nicht reichte: In den vorgeblich harmlosen Spiel-Räumen der Kunst. Die "Ästhetische Erziehung", die Schiller forderte, war nachdrücklich auch eine politische. Pluralismus ist unregierbar, und jede Zensur gebiert ihre eigenen Totengräber, indem sie die Fantasiefluchten befördert. Dass sie in der Bilderwelt des Alltags Zuflucht fanden statt nur im Kokon der Kunst, ist die Ironie der Geschichte, der Könen zur Sprache verhilft.
Kulturanthropologie mit Witz: Beflügelt von strotzender Fantasie und technisch brillant hat Könen - man hört den Namen in diesen Zusammenhängen immer häufiger - wieder einmal eine beinah 'natürliche' Form gefunden: Sie hat die Deckel jener Erlebniskulinarik eingearbeitet in eben jene Elemente, in denen sie schon ihr zweites Leben begonnen hatten: Plattformen aus Holz und Sand: Fisch auf dem Trockenen - nicht gestrandet, sondern zum zweiten Leben erweckt. Zu Serien arrangiert, verdichten sie sich, so ein verblüffter Kritiker spontan, zu einem riesigen historischen deutsch-deutschen Gemälde- und Collagen-Zyklus.
Prof. Dr. Eike Gebhardt